Leben
Lotti Jürgens (Bild: Katja Bülow)

Anpacken statt abwarten

Mecklenburg-Vorpommerns Macher im Ehrenamt

Mehr Farbe, mehr Miteinander im Stadtteil, Hilfe für Kinder und Jugendliche, Anpacken im Kampf gegen Corona – mehr als 600.000 Ehrenamtliche im Land zum Leben bewegen eine ganze Menge. Menschen, die für andere da sind und sich nicht unterkriegen lassen. Wir stellen einige stellvertretend vor.

Text von Katja Bülow

In Zusammenarbeit mit der Ehrenamtsstiftung Mecklenburg-Vorpommern.

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Kinder, die krank sind, darf man nicht einfach alleine lassen. Für Medizinstudentin Luisa Grabe ist das keine Frage. Als eine von mehr als hundert Klinik-Nannys im Rostocker Projekt „Tommy nicht allein“ kümmert sie sich in ihrer Freizeit um junge Patientinnen und Patienten, deren Eltern nur begrenzte Möglichkeiten haben, ihnen in der Klinik zur Seite zu stehen. Spielen, vorlesen, reden … die Nannys sind einfach da, wenn sie gebraucht werden. Gemeinsam mit fünf Mitstreiterinnen im Organisationsteam koordiniert Luisa Grabe ihre Einsätze – mal über die Messenger-Dienste, wenn akut Unterstützung gefragt ist, oder aber auch in ausgeklügelten Wochenplänen, da, wo Kinder chronisch krank sind.

Klinik-Nannys

In Rostock kümmern sich mehr als hundert Klinik-Nannys ehrenamtlich um kranke Kinder. Ein Projekt, das mit dem Engagementpreis 2020 ausgezeichnet worden ist – auf Rostocker Ebene, landes- und sogar deutschlandweit. (Bild: Universitätsmedizin Rostock)

Luisa Grabe erzählt uns von Fritzi, die ein halbes Jahr lang zweimal wöchentlich betreut wurde, weil ihre Geschwister wenigstens auch mal mit den Eltern Abendbrot essen und spielen wollten. Im vergangenen Herbst, erzählt Luisa, gab es ein kleines Baby, das ganz einfach körperliche Nähe brauchte und von den Nannys zweimal täglich drei Stunden lang im Arm gehalten wurde. Das geht einem ziemlich nahe, versichert Christa Bartels, ebenfalls Medizinstudentin. Sie erzählt mit leicht belegter Stimme von ihrem ersten kleinen Patienten, den sie betreuen durfte. „Am Anfang war er quietschfidel, ich bin mit ihm auf dem Rücken durch die Station galoppiert und er hat sich vor Lachen gar nicht wieder eingekriegt. Aber über die Monate konnte er irgendwann nur noch im Bett liegen und gar nichts mehr machen.“ Christa Bartels kämpft mit den Tränen. Als der Junge schließlich gehen musste, sei das ein schwerer Moment gewesen – für alle, die ihn geliebt haben. Nach einem kurzen Schweigen holt sie tief Luft und erzählt von ihrer Freude an der Arbeit: „Normalerweise komme ich aus der Klinik total energiegeladen nach Hause, weil einem die Kinder ganz viel wiedergeben.“

Das ist einfach Dienst am Menschen. Man lernt dabei eine ganze Menge und es macht Spaß, wenn man sieht, dass man etwas bewegt.

Toralf Herzog

Seit gut fünf Jahren gibt es das Projekt mittlerweile in Rostock. Wie genau es funktioniert, danach haben vor Kurzem auch Studierende aus Düsseldorf und München gefragt. Datenschutz, Hygiene, Schutz vor Ansteckungen … all das sind Dinge, die vorher genau bedacht werden wollen.

Toralf Herzog und sein Team vom DRK

Kurze Absprache mit Dr. Hans-Jürgen Wehr. Toralf Herzog und sein Team vom DRK wollen im Alten- und Pflegeheim in Wismar 220 Menschen mit Impfstoff versorgen. (Bild: Katja Bülow)

Spritzen zum Impfen

Klar zum Impfen. Die Spritzen sind vorbereitet, alles bereitgelegt. (Bild: Katja Bülow)

Toralf Herzog

Toralf Herzog hat eine Menge Freizeit am Schreibtisch verbracht, um ein Testzentrum und später auch ein Impfzentrum in Grevesmühlen aufzubauen. Bundespräsident Steinmeier verlieh ihm dafür den Bundesverdienstorden. (Bild: Katja Bülow)

Szenenwechsel: In Wismar, 60 Kilometer westlich von der Hanse- und Universitätsstadt Rostock, macht das mobile Impfzentrum Station im städtischen Alten- und Pflegeheim Friedenshof. Die Fahrzeuge des Deutschen Roten Kreuzes haben den Corona-Impfstoff geliefert. Einsatzleiter Toralf Herzog und seine Kolleginnen und Kollegen müssen ihn noch mit einer speziellen Kochsalzlösung vermischen, ab dann läuft die Uhr. Nur sechs Stunden lang ist der Impfstoff haltbar. 220 Heimbewohnerinnen und Heimbewohner sollen damit versorgt werden –  „eine ganze Menge“, meint Herzog. Doch sein Team ist gut eingespielt.

Seit 20 Jahren engagiert sich der Mann mit dem dunkelblonden Kurzhaarschopf in Nordwestmecklenburg beim DRK, ist inzwischen Landesbereitschaftsleiter und mischt auch im Präsidium des Landesvorstandes mit. Als Kreisgeschäftsführer Ekkehard Giewald ihn im Frühjahr 2020 fragte, ob er sich vorstellen könne, beim Aufbau eines Corona-Testzentrums in Grevesmühlen die Federführung zu übernehmen, passte das gerade gut. Der Kfz-Meister, der sonst beim TÜV Führerscheinprüfungen abnimmt, musste wegen der Pandemie ohnehin eine Pause einlegen. Doch einfach nur zu Hause rumsitzen – das war, das ist nicht seine Sache. Was ihn besonders reizte: „Ich hatte bei der Planung freie Hand und wenn ich die Landrätin nach irgendetwas gefragt habe, dann war das am nächsten Tag da.“

Dass Toralf Herzog nach dem Testzentrum Ende des Jahres auch noch ein mobiles Impfzentrum entwickelt hat, sei dann irgendwie die logische Konsequenz gewesen. Alles ehrenamtlich, versteht sich. Der Mann zuckt gelassen mit den Schultern und versichert: „Das ist einfach Dienst am Menschen. Man lernt dabei eine ganze Menge und es macht Spaß, wenn man sieht, dass man etwas bewegt.“

Zusammenhalt stärken

Auch Steffen Mammitzsch und Steffi Uhl sind in ihrer Freizeit engagiert, um ihr Lebensumfeld noch bunter zu machen. Gemeinsam leiten sie den Verein „Die Platte lebt“. Beide fühlen sich in Schwerin auf dem Großen Dreesch zu Hause, einem vor 50 Jahren entstandenen Neubaugebiet, in dem einst gut die Hälfte der Bevölkerung der Stadt lebte. Von hier hat man einen guten Blick über den Schweriner See und zur Altstadt mit der Schlossinsel.

Steffen Mammitzsch und Steffi Uhl

Steffen Mammitzsch und Steffi Uhl wollen mit ihrem Verein das Miteinander auf dem Schweriner Dreesch stärken. (Bild: Katja Bülow)

Der Plattenpark

Der Plattenpark im Mueßer Holz. Sobald es das Wetter zulässt, wird hier gefeiert,  geschlendert und geplaudert. (Bild: Katja Bülow)

Platten Park Bemalt

Bemalt von den Menschen aus dem Wohngebiet – in diesem Fall von Nasser Massoud. (Bild: Katja Bülow)

Mammitzsch sagt:  „Nach der Wende haben viele ein Häuschen im Grünen gebaut oder sind in den Westen gegangen, um Arbeit zu suchen. Danach hatten wir hier allerhand Leerstand und das Image des Stadtteils hat gelitten.“ Zu Unrecht, wie er findet. In den bezahlbaren Wohnungen auf dem Dreesch, in Neu Zippendorf und Mueßer Holz leben heute immerhin wieder fast 25.000 Menschen. Das Miteinander funktioniere gut.

Der 2004 gegründete Verein hat sich zum Ziel gesetzt, den Zusammenhalt weiter zu stärken. Auf fast 70 Mitglieder ist er derweil angewachsen. Montags organisieren sie Spielnachmittage im Bertha-Klingenberg-Haus, mittwochs werden Märchen erzählt, donnerstags ist Tanz … Sobald es das Wetter zulässt, sind alle draußen im nahe gelegenen Plattenpark. Auf einer Brachfläche haben Mammitzsch und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter Teile alter Plattenbauten aufstellen lassen und gemeinsam mit den Nachbarn bunt angemalt. Da gibt es Sitznischen, ein Labyrinth und einen Barfußpfad, einen Turm der Artenvielfalt und auch einen Friedensdom. Ein kunterbunter Ort, ein Treffpunkt von Kulturen und Geschichten, an dem man gemeinsam gestaltet.

Nachhaltigkeit, die begeistert

Gemeinsam zu gestalten, das ist für die Usedomer Mentorin und Psychotherapeutin Anika Habermann ohnehin der Schlüssel zu mehr Freiheit und Selbstbewusstsein. Als freiberufliche Unternehmensberaterin hat sie auf Mecklenburg-Vorpommerns östlichster Insel, auf Usedom, immer wieder eine Feststellung gemacht. Auszubildende erlernen in Betrieben und Berufsschulen ihr Handwerkszeug, brauchen aber ebenso Unterstützung hinsichtlich sozialer Kompetenzen, wie sie sagt.

Anika Habermann weiß, wovon sie spricht, leitete sie doch selbst eine Zeit lang einen Tourismusbetrieb. Ihre Überzeugung:  „Erst diese Fähigkeiten bringen uns letztlich auch Servicequalität.“ Im Jahr 2018 begann sie darum, unter dem Titel „Das Usedom-Projekt“ einmal monatlich kostenlose Seminare anzubieten. Hier finden junge Leute Antworten auf viele Fragen: Was kann ich? Wo möchte ich hin? Was sind meine Lebensträume?

Das macht einfach Spaß. Und ich denke, dass es etwas bringt, dass es die Welt verändert.

Anika Habermann

Mit den Antworten kommt die Motivation, eigene Projekte auf die Beine zu stellen. Das Ergebnis: Was anfangs mit vier Teilnehmerinnen und Teilnehmern startete, hat bis zu 90 Jugendliche erreicht. Sie organisierten im Mai 2019 ihren ersten Beach-Clean-Up, eine Strandreinigungsaktion samt Abendveranstaltung zum Thema Nachhaltigkeit, zu der rund 2.500 Menschen kamen. 2020 wurden daraus bereits mehrere breit angelegte Klimatage mit 5.000 Mitmachenden. Und auch für 2021 gibt es wieder große Pläne. Umgetauft auf den Namen „Bildungscampus MV“ organisieren die Usedomerinnen und Usedomer inzwischen Seminare im ganzen Land.

Anika Habermann legt Wert darauf, dass die Projekte auf ihrer Insel weiterhin kostenlos und ehrenamtlich bleiben. Viel Aufwand, für den die Unternehmerin derzeit Woche für Woche drei volle Tage einsetzt und ihr privates Esszimmer zum Büro gemacht hat. Warum sie das tut? Die 48-Jährige erzählt von dem einzigartigen Teamgefühl, wenn nach einer Veranstaltung alle zusammenstehen und stolz sind, dass sie es geschafft haben. Sie erinnert sich an einen Koch-Azubi, der beim ersten Seminar kaum den Mund aufbekam, wie sie sagt. Er wollte auf keinen Fall gefilmt werden. Am Ende des Projektes stand er ganz locker auf der Bühne und eröffnete vor Hunderten Menschen den Beach-Clean-Up. „Das macht einfach Spaß. Und ich denke, dass es etwas bringt, dass es die Welt verändert.“

Anika Habermann

Anika Habermann hat sich zum Ziel gesetzt, junge Menschen auf Usedom stark zu machen. Einmal monatlich gibt sie kostenlos Seminare. (Bild: Katja Bülow)

Praktikantin Lotti Jürgens

Praktikantin Lotti Jürgens hilft beim Koordinieren der Projekte – und bereitet schon mal die nächsten Klimatage mit vor. (Bild: Katja Bülow)

Alle vier Projekte in diesem Artikel sind übrigens im wahrsten Sinne des Wortes „ausgezeichnet“: Mit Engagementpreisen der Deutschen Ehrenamtsstiftung, mit Nachbarschaftspreisen … und auch der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ging für diesen Einsatz nach Mecklenburg-Vorpommern. Dr. Gernot Rücker, der medizinische Leiter der bundesweit prämierten Klinik-Nannys, macht deutlich:  „Die Aufmerksamkeit und natürlich auch die Preisgelder sind für uns ungeheuer wichtig, denn ganz ohne Geld funktionieren ja auch solche ehrenamtlichen Projekte nicht.“

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